"Wir haben in Haiger Freunde gefunden"


 „Wir fühlen uns wie in einer großen Familie“, lautete die Bilanz von Hluchiwzis Bürgermeister Oleksandr Amons nach dem ereignisreichen fünftägigen Besuch in der neuen Partnerstadt Haiger. Dem Besuch ging eine 28-stündige Reise voraus. Knapp 1800 Kilometer per Bus hatte die ukrainische Delegation mit Bürgermeister Oleksandr Amons, Maria Kulesha (Direktorin Zentrum Kultur und Freizeit) und Olena Myklin (Leiterin Abt. Bildung, Kultur, Jugend, Sport) zu bewältigen. Allein fünf Stunden dauerte die Wartezeit am Grenzübergang zu Polen. Diese Umstände mussten Amons und Co. in Kauf nehmen, da aufgrund des seit Februar 2022 herrschenden Kriegszustandes keine zivilen Flugzeuge in der Ukraine starten können. 

 Trotz der Reisestrapazen war das Trio bestens gelaunt beim ersten Treffen mit Bürgermeister Mario Schramm. „Endlich sehen wir uns mal wirklich und nicht nur per Video“, meine Oleksandr Amons und nahm seinen Amtskollegen Mario Schramm spontan in den Arm. Er habe sich sehr darüber gefreut, dass er am Klingspor-Kreisel bereits mit ukrainischen Flaggen begrüßt worden war. Amons, gekleidet in ein Hemd mit Stickerei aus Hluchiwzi, überreichte als Gastgeschenk prachtvolle gestickte Tischläufer, die typisch für seine Heimatregion sind. Andreas Rompf und Theresa Fetz-Helfert vom Fachdienst Öffentlichkeitsarbeit hatten ein umfangreiches Besichtigungsprogramm organisiert, das bei den Gästen hervorragend ankam. Nach einer Stadtführung ging es am Mittwoch zum Technologiepark Kalteiche, ins Leinenmuseum in Haigerseelbach und zum Aussichtspunkt „Zu den wilden Weibern“ oberhalb von Langenaubach. 

Auch das „Public viewing“ am Steigplatz mit dem deutschen Sieg über Ungarn gefielt den Ukrainern sehr. „Wenn wir nicht dabei gewesen wären, hättet Ihr nicht gewonnen“, scherzte Amons, der noch unsicher ist, was er dem ukrainischen Team zutrauen soll: „Ob wir erfolgreich sein werden, wird sich zeigen. Aber es ist super, dass wir qualifiziert sind und mit unserer Teilnahme an der EM international ein Zeichen setzen können.“ 

Bereits seit über einem halben Jahr ist Amons mit Christian Dölle, dem Geschäftsführer der Firma Weiss Chemie + Technik befreundet. Dölle war seinerzeit mit einer Delegation in der Ukraine, um über Kooperationsmöglichkeiten zu reden. Und so verstand es sich von selbst, dass die ukrainische Delegation zum Haigerer Traditionsunternehmen eingeladen wurden, das viele Haigerer noch als „Leim-Weiss“ kennen. Dölle erklärte, er freue sich sehr, dass es jetzt Aufnahmegespräche in der EU zur Ukraine gebe und sich eine Partnerschaft in Europa abzeichne. „Die Ukraine gehört einfach dazu!“ Auch sei es erfreulich, dass sich die europäische Solidarität positiv entwickelt habe. „Wir haben bei unserem Besuch in der Ukraine Freunde gefunden und bewundern den großen Überlebenswillen der Bevölkerung trotz der furchtbaren Bedingungen“, sagte Dölle. 

„Beim Besuch in der Ukraine Freunde gefunden“

In einem Rundgang zeigte er seinen Gästen die Produkte der Firma und berichtete, dass WCT in Deutschland drei Standort hat. „Und hoffentlich bald auch einen in Hluchiwzi“, scherzte Bürgermeister Amons. „Wir halten Ihnen ein Grundstück frei.“ 

In einem sehr informativen Gespräch, an dem auch Bürgermeister Mario Schramm teilnahm, schilderte Amons die aktuelle Situation in seiner Heimatstadt. Bisher habe die Stadt 37 Gefallene zu beklagen, 17 weitere Menschen seien verschollen. „Das sind alles Leute zwischen 25 und 45 Jahren, mit denen wir unsere Stadt aufbauen wollten“, sagte der Bürgermeister. Von 13.000 Einwohnern hätten sich 1000 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. In Schulen würden mittlerweile von Schulkindern militärische Drohnen zusammengebaut. 

Natürlich denke man bereits jetzt über den Wiederaufbau nach und rechne „mit einer guten Zukunft“. Aber für große Visionen gebe es aktuell keinen Platz. „Das Motto lautet: Heute haben wir überlebt“, sagte Amons und berichtete, dass Russland in der Nacht zum Donnerstag 27 Raketen auf die Ukraine abgefeuert und unter anderem ein Wärmekraftwerk zerstört habe. Besonders große Sorgen mache er sich um die Kinder. „Sie haben keine Kindheit mehr, sondern sind plötzlich unsere Partner geworden.“ 

„Das einzig Gute an der Kriegssituation ist, dass die Bevölkerung durch den Angriff sehr solidarisch geworden ist und gut zusammenhält“, sagte der Bürgermeister: „Niemand hat so viel für die Einheit der Ukrainer getan, wie Vladimir Putin.“ 

„Wir alle hoffen, dass wir bald zur Normalität zurückkehren können“

Vor der Ausschuss-Sitzung am Donnerstagabend nutzten Oleksandr Amons und Mario Schramm die Gelegenheit, auch den Magistrat sowie Stadtverordnetenvorsteher Bernd Seipel über die Hintergründe der Partnerschaft und vor allem die brisante Situation in der Ukraine zu informieren. Bürgermeister Amons berichtete über die Taktik der Russen, die ukrainische Infrastruktur zu zerstören, um so die Zivilbevölkerung zu zermürben. „Wir alle hoffen, dass wir bald zur Normalität zurückkehren können“, sagte Amons. 

PS: Die Heimfahrt in de Ukraine dauerte übrigens 30 Stunden...